10/13/2005

der aul-könig

wir sind wieder zu hause und fühlen uns ganz fremd. es fällt richtig schwer, diese stille zu ertragen. wieder ans telefon zu gehen. die strasse zu überqueren. die leere ist so verdächtig.
man wird nicht vor der haustür schon von händlern weggefangen, die einem nutzlosen schnulli "very cheap" verkaufen wollen. es will überhaupt gar niemand etwas von einem. man fühlt sich ignoriert. vergessen. klinisch gesäubert.
und die strassen sind viel zu glatt. das ist so übertrieben. verdächtig.

dabei hat uns indien so einen schönen abgang serviert. pur. unvergesslich. noch einmal in die überraschungskiste gegriffen und diese herzlich über uns ausgeschüttert.

das passiert nach einem gemächlichen tag , mit mendhi aufmalen lassen und ein letztes kampfshoppen, ein schönes abschiedsessen im "moonrakers", bei dem wir arun noch einmal treffen, der so gern in die schule zurückkehren möchte aber um sein überleben kellnert.

(Nachsatz zu Arun 3/2006: Das hatte ich also nur gedacht, weil die Geschichte so glaubwürdig klang. Das Schlitzohr Arun flunkert. Seine Story erwies sich nach 3 Monaten dann doch als geschicktes Nebeneinkommen. Hübsch auch, wie ich es rausgefunden habe: er blieb ja in Emailkontakt mit mir, nachdem mein schlechtes Weltgewissen geweckt war und ich versprochen hatte, mich drum zu kümmern, dass er vielleicht doch eine Chance kriegt, wieder in die Schule zu gehen. Leider unterlief ihm am 24. Dezember (!) ein Denkfehler. Er schickte eine erbarmungswürdige Mail, mit 3 noch erbarmungswürdigeren Fotos. Er schwerverletzt auf einem Sofa. Eine knappe Info, dass er einen Unfall hatte und im Krankenhaus liege und sein Freund die Mails nun abruft. Nach dem ersten Erschrecken dann klares Denken: Warum am 24. Dezember. Zufall? Wieso hat er auf den Fotos ein schneeweisses Reebock-T-Shirt an? Woher die Kohle dafür? Warum schickt er drei solche gute Digi-Fotos (von allen Seiten, wie beim Ebay-Verkauf) wo es doch vorher so schwer war, mal ein Bild zu schicken.Und: Leider als Sammelmail rausgeschickt... und da fand sich dann ein anderer Deutscher darunter, der auch schon spenden-technisch eingewickelt worden ist. Nach einem Kurzschluss und Telefonat mit selbigem Mann stellte sich heraus, dass Arun ein cleverer Mitleid-Erreger war und davon ganz gut lebt. Der Mann hatte ihm schon beträchtliche Summen als Schulgeld gesponsert und hatte keine Ahnung, dass der jetzt in Mamallapuram kellnert. Wie ich später rausfinde, ist Arun mit SEINEM Motorrad angesoffen hingeknallt...das Motorrad hat ihm eine weitere Deutsche gesponsert. Also geht es ihm nicht so schlecht, wie er uns glauben macht und der Touri sorgt "aber hallo" für sein Auskommen. Der Versuch, so auch noch an "Krankengeld" ranzukommen, ...denn der Krankenhausaufenthalt hat ja auch gekostet - ging fehl...ich sorge mich nicht um sein Einkommen, er ist so überzeugend, dass andere Touristen garantiert auf die Stories reinfallen. Die Trickbetrüger und Schmarotzer, die sichs auf Kosten der Tszunami-Katastrophe besser gehen lassen, sind sicher reichlich zu finden. Schade nur, dass wenn man so reingelegt wird -sich das Bedürfnis zu helfen dann in pure Vorsicht und Unterstellung wandelt.War eine Lektion, bei der ich mich zwar nicht finanziell aber doch emotional betrogen fühlte. Schliesslich war ich schon soweit, dass ich eine indische NGO aufgetrieben hatte, die die Jungs in der Tat unterstützen wollte. Naja, es hatte zwei Seiten: einerseits hatte ich viel Kontakt mit HIlfsorganisationen und hatte fast mein Ziel erreicht. Und zweitens bin ich jetzt um Erfahrungen reicher und kenne meine Schwachstelle besser. Auf die kann ich bei der nächsten Reise dann achten.)


zwischen heftigen regengüssen und einem guten abschieds-masala-tee im cafe unserer wahl, nachts um zehn, mit mani, unserem lieblingskellner, der uns jetzt als seine freunde nochmal in den schon geschlossenen raum gebeten hat, extra für uns in der küche noch einen masala-tee zubereitet und sich auf ein plauderstündchen zu uns setzt. bei schnapps und zigaretten erzählt er noch mal die dunklen seiten der indischen welt...über seine pilgerreise und seinen versuch, ausserhalb von mamallapuram zu überleben, die geschäftemacher im ort, über den zunehmenden sextourismus, über das harte leben. er kommt mir plötzlich sehr traurig vor und fast erdrückt von dem täglichen kampf gegen die versuchung, schnelles geld zu machen. die charmante figur des tages verwandelt sich in einen erschöpften jungen mann. er lächelt müde, als ich ihn nach seinen träumen frage.
es erschreckt mich zutiefst und zeigt alles in einem anderen licht. so fünf minuten vor der abreise noch schnell unter die oberfläche zu lunschen, tut fast weh. man ist ganz hilflos mit dieser information, schnürrt doch nur den rucksack zu und reist ab. was bleibt ist ein beigeschmack zum schönen touri-ort, der bitter ist. er setzt eine gedankenkette in gang, die man in ruhe zuende denken muss. ich hoffe, mani meldet sich bald bei uns. (ergänzung: inzwischen hat er sich gemeldet und wir schreiben und telefonieren fleissig, 19.okt.)

zu dieser traurigen stimmung mischt sich dann das erlebnis der unglaublichen taxifahrt zum flughafen.

als ich den 70 - 80 jährigen klapprigen opi, der gerade mal ein bisschen grösser ist als ich , aus dem taxi steigen sehe, barfuß, im hemdchen und dhoti, da kommen mir doch arge bedenken.
nachdem der hotelbesitzer, der das taxi organisiert hat, auch noch besorgt guckt und dem opi vorsichtshalber sein eigenes handy mitgibt und ihm beim starten noch eine handvoll guter tipps gibt, kriege ich leichte angst. nach den ersten 100 metern habe ich dann grosse angst.

da haben wir es nun schon 5 wochen durch indien geschafft und dann kommt die taxifahrt from hell doch noch. ich schliesse unser ableben kurz vorm reise-ende nicht mehr aus.

opi hängt wie ein schluck wasser hinterm lenkrad, kann kaum durch die scheibe sehen, weil er so klein ist und der monsun-sturm den regen dagegen peitscht. die scheibe beschlägt immer wieder. das behindert die offenbar sowieso schon eingeschränkte sehkraft des grossväterleins bedeutend, und er wischt mit dem wischtuch wahlweise über sein gesicht oder die scheibe. oder niest auch mal saftig hinein. oder knapp vorbei aufs lenkrad. lecker. thomas zieht erik zur seite, damit er von den indischen bazillen nicht ganz so viele abkriegt. der opi verfeinert die geräuschkulisse dann mit faszinierenden räusper- und rotzgeräuschen, die er aus dem unterleib zu holen scheint. dann ault (wirklich. man kann es nicht anders beschreiben) er aller 100 meter durch die zahlreichen zahnlücken aus dem fenster. und das bedeutet für alle mitfahrenden höchste wachsamkeit, denn opi lenkt in diesen sekunden seine aufmerksamkeit von der strasse auf das fenster. das auto macht einen ordentlichen schlenker und findet sich dann wieder im schleichtempo auf der spur ein. wir fragen micha, ob er sich zutraut, das taxi selbst zu fahren. schlimmer kann es nicht werden. aber opi rast wenigstens nicht. das ist ein pluspunkt. beim uhrenvergleich stellen wir fest, dass wir trotz der langsamkeit keine panik kriegen müssen und zeit genug haben, um am flughafen anzukommen. vielleicht. wenn wir die überholmanöver überleben, die opi vor grosse herausforderungen stellen. und meine nerven auch. ich verkrampfe völlig, sobald gegenverkehr oder sonstige verkehrsteilnehmer in unsere reichweite kommen. denn unserer rotz-opi ist zwar in der lage, urplötzlich völlig unbegründet ein hupkonzert zu veranstalten, aber seine reaktionsgeschwingigkeit ist sehr begrenzt. das verdeutlicht der kurze stop auf der gegenfahrbahn der autobahn, als er die einflugschneise für unsere spur verpasst (nicht gesehen + nicht getroffen) und mir alle haare zu berge stehen (ich verliere jegliche urlaubsbräune in diesem moment und komme leichenblass in dresden an) , weil ich die fetten laster auf uns zurollen sehen und opi noch lange überlegt, ob - und wenn ja -wo er den rückwärtsgang einlegt.
hier erstirbt auch das zutiefst galgenhumorige gelächter auf der rückbank, mit dem wir unsere nerven bisher ganz gut beisammengehalten haben.
als er dann versucht , noch die bereits bezahlte mautgebühr noch mal zu erfeilschen und am flughafen ein fettes bakschisch verlangt, habe ich meine anfängliche regung, ihm belohnungsgeld für unser überleben zu spenden, längst vor angst ausgeschwitzt und in ärger gewandelt. ich verziehe mich super eilig in die abflughalle. jetzt habe ich indien gerade sehr satt und bin froh, entfliehen zu können.

der flug ist anstrengend, obwohl ganz leer und jeder eine ganze sitzreihe zum hinlegen hat. das gewarte auf die anschlussflüge, die fehlenden stunden schlaf, das schlechte essen und die schlepperei rauben aber alle kräfte. frankfurt gibt uns den rest. die grauen griesgram-gesichter, man versteht wieder jeden schwachsinn, der gesprochen wird und alles ist schweineteuer. was haben wir nur getan. warum sind wir schon wieder hier? der fussboden ist hier so sauber wie in indien die tische. mit anderen worten...übertrieben gereinigt.

wir sind dann nur noch heilfroh, als die fliegerei vorbei ist, walti uns einsackt und dann in der fast fremdgewordenen, vom abreise-chaos beräumten wohnung unsere rucksäcke explodieren. es ergiesst sich ein meer von mitgeschlepptem zeug, verstaut in millionen tüten, über die wohnung und sie sieht fast ein bisschen indisch ranzig aus. und es riecht ein bisschen nach indien. herrlich.

und dann fängt der katzenjammer auch gleich an...und wir vermissen alles, was wir in den letzten 5 wochen hatten...ohne abstriche.

und fangen an, die neue reise zu planen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Selten so gelacht. und das am frühen Morgen.
Kann ich alles gut nachvollziehen.
Das könntest Du als Buch veröffentlichen.